An dieser Stelle finden Sie ausgewählte Beiträge von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. zu Festen des Kirchenjahres. Zum Start der Internetseite haben wir eine Pfingstpredigt Ratzingers veröffentlicht. Die weiteren Beiträge orientieren sich am liturgischen Kalender der Kirche.
Als geistlichem Impuls zur Adventszeit dokumentieren wir einen Auszug aus einer Predigt Ratzingers aus dem Jahr 1965. Darin stellt der junge Professor der Theologie Hiob als adventliche Figuar vor. Mit Blick auf Hiob ruft Ratzinger dazu auf, die eigene Unerlöstheit ungeschönt vor Gott zu bringen. Ein Glaube, der das nicht tue, sei im Grunde schon eine Form der Glaubensverweigerung. Der Text ist entnommen aus Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften, JRGS 4,365 ff.
Es ist mit der Sinn der Adventszeit im Kirchenjahr, dass sie uns dieses Bewusstsein wieder lebendig macht. Sie soll uns dazu nötigen, dass wir uns diesen Tatsachen stellen, dass wir zugeben das Ausmaß von Unerlöstheit, das nicht nur irgendwann über der Welt lag und irgendwo vielleicht noch liegt, sondern bei uns selbst und inmitten der Kirche Tatsache ist.
Wir leben mit abgeblendeten Lichtern, weil wir fürchten, dass unser Glaube das volle, grelle Licht der Tatsachen nicht vertragen könnte.
Mir scheint, dass wir hier nicht selten einer gewissen Gefahr erliegen: Wir wollen derlei nicht sehen; wir leben sozusagen mit abgeblendeten Lichtern, weil wir fürchten, dass unser Glaube das volle, grelle Licht der Tatsachen nicht vertragen könnte. So schirmen wir uns dagegen ab und klammern sie aus dem Bewusstsein aus, um nicht zu Fall zu kommen.
Aber ein Glaube, der sich die Hälfte der Tatsachen oder noch mehr nicht eingesteht, ist im Grunde schon eine Form von Glaubensverweigerung oder mindestens eine sehr tief gehende Form von Kleingläubigkeit, die Angst hat, der Glaube sei der Wirklichkeit nicht gewachsen. Sie wagt nicht anzunehmen, dass er die Kraft ist, die die Welt überwindet.
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Hiob und seine Freunde. Buchmalerei, 1490. Aus dem Stundenbuch Ludwigs von Orleans, des späteren Königs Ludwig XII. von Frankreich.
Wahrhaft glauben heißt, ungescheut und offenen Herzens dem Ganzen der Wirklichkeit ins Angesicht schauen.
Wahrhaft glauben heißt demgegenüber, ungescheut und offenen Herzens dem Ganzen der Wirklichkeit ins Angesicht schauen, auch wenn es gegen das Bild steht, das wir uns aus irgendeinem Grunde vom Glauben machen.
Zur christlichen Existenz gehört deshalb auch dies, dass wir aus der Anfechtung unseres Dunkels heraus wie der Mensch Job mit Gott zu reden wagen. Es gehört dazu, dass wir nicht meinen, vor Gott nur die Hälfte unseres Daseins darbieten zu können und ihm das Übrige ersparen zu müssen, weil wir ihn vielleicht verdrießlich machen könnten damit.
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Benedikt XVI. betet vor der auf dem Petersplatz aufgebauten Krippe. Archivfoto aus dem Jahr 2010.
Advent begehen heißt nichts anderes als mit Gott reden, wie Job es getan.
Nein – gerade vor ihn dürfen und müssen wir die ganze Last unserer Existenz in voller Wahrhaftigkeit hinstellen. Wir vergessen ein wenig zu sehr, dass in dem Buche Job, das uns die Heilige Schrift überliefert, Gott am Ende des Dramas den Job als gerecht erklärt: ihn, der die ungeheuerlichsten Anklagen Gott entgegengeschleudert hat, während er Jobs Freunde als falsch Redende zurückweist, jene Freunde, die Gott verteidigt hatten und auf alles irgendeinen schönen Reim und eine Antwort gefunden hatten.
Advent begehen heißt nichts anderes als mit Gott reden, wie Job es getan. Es heißt, einmal die ganze Wirklichkeit und Last unserer christlichen Existenz ungescheut sehen und sie vor Gottes richtendes und rettendes Angesicht hinstellen, auch dann, wenn wir wie Job keine Antwort darauf zu geben haben, sondern das einzige bleibt, Gott selbst die Antwort zu lassen und ihm zu sagen, wie wir antwortlos in unserem Dunkel stehen.
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