Die Rede von Papst Benedikt XVI. beim Ökumenischen Treffen anlässlich des XX. Weltjugendtages im August 2005 in Köln ist die erste große Ansprache gewesen, die er im ersten Jahr seines Pontifikats zum ökumenischen Anliegen gehalten hat. In dieser Rede sind bereits die wesentlichen Perspektiven enthalten, die sein ökumenisches Engagement geprägt haben.
Es geht um die Wahrheit des Glaubens, nicht um politische Kompromisse
Unter dem ökumenischen Bemühen versteht Benedikt XVI. die Wiedergewinnung der Einheit der Kirche als jener Gemeinschaft, die in Treue zum Evangelium und zum Apostolischen Glauben lebt. Die wieder zu gewinnende Einheit der Kirche berührt zutiefst die Wahrheit des Glaubens und darf nicht als politisches Problem missverstanden werden, das auf dem Weg von Kompromissen gelöst werden könnte. Die Einheit der Kirche muss vielmehr Einheit im Apostolischen Glauben sein, der jedem Christen in der Taufe übergeben und anvertraut wird. Die Taufe und ihre gegenseitige Anerkennung ist deshalb das Fundament allen ökumenischen Bemühens.
Daraus folgt die weitere elementare Überzeugung, dass wir Menschen die Einheit der Kirche nicht selbst machen und auch nicht über ihre Gestalt und ihren Zeitpunkt verfügen können. Denn eine von uns Menschen selbstgemachte Einheit könnte nur eine menschliche Einheit sein.
L’Osservatore Romano
Ökumenisches Treffen am Rande des Weltjugendtages in Köln. Die Ansprache Benedikts XVI. ließ aufhorchen.
Die Einheit der Kirche kann man nicht machen. Die Einheit, um die es in der Ökumene geht, ist ein Geschenk der Gnade
Die Einheit, um die es in der Ökumene geht, ist aber ein Geschenk der Gnade, das wir von Gott nur erbitten können, wie es Jesus selbst getan hat, indem er am Vorabend seines Leidens um die Einheit seiner Jünger gebetet hat. Christliche Ökumene ist deshalb in ihrem innersten Kern Teilhabe am Hohepriesterlichen Gebet Jesu. Nur wenn wir uns in dieses Gebet hineinziehen lassen, können wir auch untereinander eins werden.
Diese Überzeugung hat Papst Benedikt XVI. bei einer anderen Gelegenheit mit den anschaulichen Worten ausgesprochen: „Das Schiff des Ökumenismus wäre niemals aus dem Hafen ausgelaufen, wenn es nicht von dieser umfassenden Gebetsströmung in Bewegung gesetzt und vom Wehen des Heiligen Geistes angetrieben worden wäre.“ Die Ökumenische Bewegung ist von Anfang an eine Gebetsbewegung gewesen und wird nur als solche lebendig bleiben. Das Gebet um die Einheit ist das spirituelle Herz allen ökumenischen Bemühens.
Ökumene der Wahrheit und des Lebens
In dieser geistlichen Grundhaltung hat Papst Benedikt XVI. stets auch die Ökumene der Wahrheit gefördert, nämlich die theologische Aufarbeitung jener Faktoren, die in der Geschichte zu den Spaltungen in der Kirche geführt haben. Dabei ist es ihm ein großes Anliegen gewesen, die theologischen Probleme von ihrer innersten Mitte her anzugehen. Er will nicht in einem äußerlichen Sinn über kirchliche Institutionen wie beispielsweise das Amt in der Kirche streiten.
Die eigentliche theologische Frage ist für ihn vielmehr „die der Weise der Gegenwart des Wortes Gottes in der Welt“, und zwar in der Verflechtung von Wort Gottes und persönlicher Zeugenschaft. Oder um es in einer ganz einfachen Weise zu sagen: „Die beste Form des Ökumenismus besteht darin, nach dem Evangelium zu leben.“
L’Osservatore Romano
Betonte in seiner Rede die dringende Notwenigkeit, in bioethischen Fragen mit einer gemeinsamen christlichen Stimme zu sprechen: Papst Benedikt XVI.
Ehe, Familie, Sexualität, Gender: Die großen ethischen Fragen haben dringende Priorität
Von daher besteht für Benedikt XVI. der ökumenische Weg im Dialog. Dabei geht es nicht einfach um einen Austausch von Ideen und Überzeugungen, sondern um einen „Austausch von Gaben“, in dem die verschiedenen christlichen Gemeinschaften die geistlichen Reichtümer einbringen, die sie vom Heiligen Geist empfangen haben. Mit dieser sehr positiven Einstellung erwähnt Benedikt XVI. aber auch in Freimut jene Probleme, die auch in der heutigen ökumenischen Situation noch nicht gelöst sind und von denen ich nur auf die zwei wichtigsten hinweisen will:
In den ökumenischen Dialogen haben für Papst Benedikt XVI. die großen ethischen Fragen eine dringende Priorität. Denn in den vergangenen Jahrzehnten sind in den ökumenischen Gesprächen gravierende Spannungen und Differenzen auf ethischem Gebiet aufgetreten, und zwar vor allem bei den bioethischen Fragestellungen und bei der ethischen Problematik von Ehe, Familie, Sexualität und Gender. Darin besteht eine große Herausforderung.
Wenn die Kirchen nicht mit einer Stimme sprechen, wird die christliche Stimme in der säkularisierten Gesellschaft immer schwächer
Denn wenn die Christen und Kirchen zu den großen ethischen Fragen des menschlichen Lebens und des gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht mit einer Stimme sprechen können, wird die christliche Stimme in den heutigen säkularisierten Gesellschaften stets schwächer. Die christliche Ökumene muss sich deshalb auch um diese ethischen Fragen kümmern.
Die noch grundlegendere Herausforderung in der heutigen ökumenischen Situation besteht darin, dass wir noch kein gemeinsames Ziel der Ökumene gefunden haben. Es gibt eine Vielfalt von Modellen von Einheit, aber noch keinen Konsens darüber, worum es bei der Wiedergewinnung der Einheit der Kirche eigentlich gehen soll. Wir sind uns einig über das „Dass“ der Einheit, aber uneinig über das „Was“ der Einheit. Ein gemeinsames Ziel vor Augen ist aber notwendig, um weitere Schritte einleiten zu können.
L’Osservatore Romano
Joachim Kardinal Meisner, Papst Benedikt XVI., Staatssekretär Angelo Kardinal Sodano, Walter Kardinal Kasper (v.l.) hören die Ansprache von Bischof Wolfgang Huber, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Die volle und sichtbare Einheit ist das Ziel
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sieht Papst Benedikt XVI. das Ziel der Ökumene nicht bloß in der Anerkennung der verschiedenen konfessionellen Kirchenverständnisse und im Erreichen eines friedlichen Zusammenlebens, sondern in der vollen und sichtbaren Einheit der Kirche und damit in jener Einheit, die ihrem Wesen gemäß sichtbar wird in der Gemeinschaft im Glauben, in den Sakramenten und in den kirchlichen Ämtern.
Auf dieses Ziel hin hat Benedikt XVI. alle seine ökumenischen Bemühungen konzentriert. Ich selbst habe dies erfahren, als er mich gebeten hat, die Ernennung zum Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen anzunehmen. Als Grund für meine Wahl hat er damals genannt, dass er sich einen Bischof wünsche, der die verschiedenen Kirchen nicht nur aus Büchern, sondern aus eigener pastoraler Erfahrung kennt, und dass ihm die Ökumene mit den aus der Reformation hervorgegangenen Gemeinschaften genauso wichtig sei wie die Ökumene mit den Ostkirchen.
„Trialog“ statt Dialog: Orientale und Orthodoxe einbeziehen
Gerade als Papst, der aus einem bedeutenden Ursprungsland der Reformation stammt, hat er deshalb das Augenmerk darauf gerichtet, dass auch die orientalischen und orthodoxen Christen in die ökumenischen Gespräche einbezogen werden und Partner im ökumenischen „Trialog“ sind.
Auf diesem Hintergrund versteht man, dass Benedikt XVI. bereits in seiner ersten Botschaft nach der Wahl zum Papst zu einer besonderen Priorität in seinem Pontifikat die vorrangige Verpflichtung erklärt hat, „mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten. Das ist sein Bestreben, das ist seine dringende Pflicht“.
Christus in den Mittelpunkt stellen
Den ökumenischen Auftrag des Ringens um die sichtbare Einheit der Kirche hat er dabei stets im Christusglauben verwurzelt. Sein ökumenisches Engagement ist darin wahrhaft ökumenisch, dass es christozentrisch orientiert ist. Indem er in seinem ökumenischen Bemühen wie überhaupt in seiner ganzen Verkündigung Jesus Christus in den Mittelpunkt gestellt hat, wird er als bedeutender Ökumeniker in der heutigen Zeit in Erinnerung und damit fruchtbar bleiben. Die hier kurz vorgestellte Rede von Papst Benedikt XVI. in Köln bezeugt dies in authentischer Weise.
Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani/KNA
Der Autor, Kurt Kardinal Koch, ist Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Papst Benedikt XVI. nahm ihn 2010 in das Kardinalskollegium auf.