Erlösung
Diejenigen, die diesen Tod [Jesu am Kreuz] erlebten, haben immer tiefer erkannt, dass sein Sterben letztlich der von ihm selbst vollzogene Akt der Liebe war, in dem er sich austeilte, sich vollends den Seinigen kommunizierte. Und darin wurde sichtbar, dass dieser Akt seiner Liebe im Tiefsten die Tat der Liebe Gottes selber war, in der er als Mensch die Grenzen der menschlichen Liebe überwand mit der Kraft, die nur Gott gegeben ist. Der Tod, das Unlogische, das Ungeistige und Sinnwidrige, wird so zu einem aktiven geistigen Geschehen. Der Tod, das Ende der Kommunikation, wird hier zum Akt der Kommunion schlechthin: Jesu mit allen und in ihm aller mit allen und Gottes durch Jesus mit allen. […]
Nun kann man sagen: Das klingt alles sehr schön, und wenn es wahr wäre, dann wäre es wirklich die Erlösung der Welt. Aber ist es wahr? Können wir es glauben? Warum merken wir so wenig davon? Darauf möchte ich mit einer Aussage von oben, von der Logik Gottes her, und mit einer Aussage von unten, von der Logik des Menschseins her, antworten.
Von oben her gilt dies: Der erlösende Gott, der befreiende Gott, kann nicht so handeln wie der Gott, der die Dinge aus dem Nichts erschafft. Das wäre in sich unlogisch. In die schon bestehende Freiheit des Menschen kann Gott nicht in der Form eintreten, die der Seinsschöpfung zugeordnet ist, aber nicht für das Zueinander von Personen passt. Dieses Eintreten kann nur in der Art geschehen, in der Personen ineinander zu treten vermögen, d. h. in der Weise des Füreinanders und seiner öffnenden Liebe, die vorab Glauben verlangt. Die Allmacht kann hier nur zur Wirkung kommen in der universalen Kraft der Stellvertretung, in dem Für-uns-Sein des Gottmenschen.
picture-alliance/ dpa/dpaweb | LaPresse Michele Ricci
Papst Benedikt trägt das Kreuz während der traditionellen Kreuzwegandacht am Karfreitagabend am Kolosseum in Rom. (14. April 2006)
Das bedeutet von unten, von uns selber her, dass man Erlösung nicht sozusagen fertig von der Stange kaufen kann; in sie muss man mit dem ganzen Weg des Menschseins hineintreten. […] Für Irenäus von Lyon steht fest, dass der Mensch nicht ist, sondern wird; deshalb im Einzelnen ein Prozess der Erziehung, schrittweises Vorangehen, allmähliches Geformtwerden, auch durch Versagen hindurch. Weil sein Ziel die Mündigkeit, d. h. die volle Freiheit, d. h. die Gottgleichheit, die Sohnschaft ist, deshalb kann solche Erziehung zu Gott schließlich nur durch Gott, unsere Gleichheit nur durch seine Gleichwerdung mit uns erreicht werden.
Aus diesem Grund ist Christus, der Mensch gewordene Gott, die einzige Chance für den Menschen, seine wahre und allein zulängliche Erlösung. Eben deswegen ist aber diese Erlösung kein Zaubermittel, keine Wunderdroge, die man nur einzunehmen bräuchte, um sozusagen für immer »high« zu sein; sie ist, wie wir schon anfangs feststellten, nicht der Verzicht auf das Abenteuer des Menschseins, sondern seine Ermöglichung. Nur im Mitgehen erschließt sie sich, und je mehr wir uns ihr glaubend und liebend anvertrauen, desto tiefer und reiner werden wir ihrer Wahrheit inne.
Erlösung – mehr als eine Phrase?, Steinfeld 21978, 15 –19.