Reinkarnationslehre und Ewiges Leben
Die Reinkarnationslehre, die sich vor allem im asiatischen Raum entfaltet hat, muss man wohl als Versuch ansehen, das Rätsel der Ungerechtigkeit in dieser Welt auf eine nicht-theistische Weise zu erklären: In einer leidvollen Existenz wird früheres Unrecht gebüßt, und so zeigt sich hinter dem scheinbaren Unrecht einer Welt, in der es Übeltätern gut geht und in der Schuldlose leiden, die un- erbittliche Gerechtigkeit, die alles sühnt und alles ins Lot bringt.
Wo aber das ganze Dasein dieser Welt als Leid erfahren wird, reichen solche Wanderungen der Seele nicht mehr aus: Das Ziel aller Reinigungen und Verwandlungen ist dann das Heraustreten aus den Fesseln der Vereinzelung, aus dem ganzen wirren Kreislauf des Seins, das Hinabsinken und Zurückkehren in die Uridentität, die Nichts und Alles zugleich ist.
Es ist gewiss kein Zufall, dass heute mit dem Verblassen des Glaubens an den lebendigen Gott alle diese archaischen Bilder zurückkehren, die freilich ihre Unschuld und ihre moralische Größe verloren haben. Reinkarnation, die heute wieder von vielen geglaubt wird, ist nicht mehr Vollzug einer geheimnisvollen Macht der Gerechtigkeit, sondern eher eine Art von Anwendung des Erhaltungsgesetzes: Die Energie Seele kann sich nicht einfach auflösen, aber sie braucht andere Verkörperungen.
KNA
Der Tod ist nicht das letzte Wort unseres Daseins. Benedikt XVI. während der Feier der Osternacht am 7. April 2012 im Petersdom in Rom.
Immerhin drückt sich im neuen Erscheinen solcher und anderer Vorstellungsmodelle das stille Wissen des Menschen darum aus, dass der Tod nicht das letzte Wort seines Daseins ist; dieses Wissen sucht sich andere und oft recht seltsame Wege, wo die Macht des liebenden Gottes, die uns nicht fallen lässt, aus dem Blick gerät. So zeichnet sich allmählich ab, was geschehen muss, damit wir wieder mit Überzeugung sagen können: Ich erwarte das ewige Leben. Wir müssen einfach des lebendigen Gottes und seiner Liebe neu innewerden. Dann wissen wir, dass diese Liebe, die ewig ist und die Macht ist, uns nicht fallen lässt.
Mein Glück ist es, in deiner Nähe zu sein. Vom christlichen Glauben an das ewige Leben, in: Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften 10, hg. von Gerhard Ludwig Müller, Freiburg 2012, 452– 467, 455.