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Vaterunser

Ich möchte hier nur ein Gebetswort auslegen, das mir vor allen anderen lieb ist, weil es mir der innere Grund und die innere Mitte aller möglichen Gebete überhaupt zu sein scheint – ich meine die Anrede Vater unser, von der alles weitere Beten ausgeht und getragen wird.

Vater – damit drücke ich aus, dass jemand da ist, der mir zuhört, mich nie allein lässt, immer gegenwärtig ist. Damit drücke ich aus, dass Gott in aller unendlichen Unterschiedenheit von mir doch so ist, dass ich ihn anreden kann, ja, auf Du sein darf mit ihm. Seine Größe ist nicht erdrückend, wirft mich nicht ins Wesenlose und Bedeutungslose zurück; gewiss – ich stehe unter ihm, wie ein Kind unter dem Vater, aber es gibt doch auch eine so grundlegende Gleichheit und Ähnlichkeit zwischen ihm und mir, ja, ich bin so wichtig für ihn, so nahe ihm zugehörig, dass ich ihn richtig benenne, wenn ich «Vater» sage. So ist mein Geborensein nicht Schuld, sondern Gnade; es ist gut, zu leben, auch wenn ich es nicht immer merke. Ich bin gewollt; nicht ein Kind des Zufalls und der Notwendigkeit, sondern des Willens und der Freiheit. Daher werde ich auch gebraucht, es gibt einen Sinn für mich, eine Aufgabe, die nur gerade mir zugedacht ist; es gibt eine Idee von mir, die ich suchen und finden und erfüllen kann. Vater – das bedeutet, dass ich nicht in der Beliebigkeit stehe, die nur scheinbar Freiheit, in Wirklichkeit Auslieferung an die Gleichgültigkeit ist, die ewige Wiederkehr des Nichtig-Gleichgültigen […] Diese Liebe, die mich will, ist nicht gleichgültiges Gewährenlassen, sie stellt mich unter das Maß der Wahrheit, vor dem ich versagen kann. Aber dieser Ernst, der mich anfordert, mir schwer wird, ist mir doch nur noch einmal Gewissheit, dass ich nicht belangloses Evolutionsmaterial bin, sondern gebraucht und geliebt werde. Wenn die Erziehung durch das Leben unerträglich schwer wird, wenn ich aufschreien möchte wie Ijob, wie die Beter der Psalmen […] – dann kann ich diesen Schrei in das Wort Vater hineintragen, und langsam wird der Schrei wieder zum Wort, das Aufbegehren zum Vertrauen, denn vom Vater her wird sichtbar, dass mein Gefordertsein, ja, mein scheinbares Gequältwerden Teil der größeren Liebe ist, der ich mich verdanke.

Schweizergardisten beten im Petersdom in Rom während der Messe, die ihrer Vereidigung vorausgeht.

Noch eins wird mir mit dem Wort Vater bewusst: dass ich nicht von mir selber bin, dass ich Kind bin. Dagegen möchte ich zunächst protestieren wie der verlorene Sohn es getan hat. Ich will ja mündig sein, «emanzipiert», mein eigener Herr. Aber dann frage ich mich: Was ist die Alternative für mich, für den Menschen überhaupt, wenn es keinen Vater mehr gibt, ich folglich das Kindsein endgültig hinter mir gelassen habe? Bin ich dann wirklich mehr geworden? Wirklich frei? Oder habe ich nicht mit dem Vater das Prinzip der Freiheit aufgehoben? Nun bleibt nur die gewaltige und grausame Maschinerie des Weltalls, in der das Leben eine «obszöne Verirrung des Kohlenstoffs» ist, wie Friedrich Dürrenmatt meint. Jedenfalls bin ich dann allein im Dunkel, ja, im Dreck, wie noch einmal Beckett sagt. Nein, nur wenn es das Prinzip der Freiheit gibt, einen, der liebt und dessen Liebe Macht hat, dann bin auch ich frei. Und so bleibt am Ende doch nichts anderes, als wie der verlorene Sohn umzukehren, die Demut haben, «Vater» zu sagen, und gerade so auf die Freiheit zuzugehen, indem ich meine Wahrheit annehme. Und dann fällt mein Blick auf den, der sich sein ganzes Leben lang als Kind, als Sohn wusste und der gerade so wesensgleich mit Gott selber ist: Jesus Christus. Wenn ich «Vater» sage, spreche ich mit ihm mit, und im Mitsprechen nimmt er mich ins Mitleben hinein, so dass ich mit ihm Sohn werde, mit ihm in Gottes Wesen hineingehöre. […]

Auf diese Weise geht das Wort Vater von selber über in das Wort unser. Ich kann nicht allein «Vater» sagen zu Gott. Wie sollte ich es wagen? Ich kann es nur, weil es der vor mir gesagt hat, der es konnte, der es durfte. Ich kann es, weil er mich einlädt, mit ihm so zu sprechen. Aber wenn ich mit ihm spreche, dann bin ich zugleich bei allen denen, die er zu seinen Geschwistern, zu meinen Geschwistern machen wollte. Wenn ich «Vater» sage, muss ich das Wir seiner Kinder annehmen. Aber auch umgekehrt gilt: Wenn ich «Vater» sage, weiß ich, dass ich in der Gemeinschaft aller Kinder Gottes stehe und sie alle bei mir sind. So führt mich das Reden zu Gott nicht weg von der Verantwortung für die Erde und für die Menschen, es gibt sie mir neu zurück. Vom Licht des Betens her kann ich wagen, mich ihr zu stellen.

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