An Silvester jährt sich der Todestag von Papst Benedikt XVI. zum ersten Mal. Was geht Ihnen durch den Kopf und durch das Herz, wenn Sie an die Tage des Sterbens und des Abschieds von Benedikt XVI. denken?
Die Erinnerung an den Todestag weckt in mir Trauer, Schmerz und Wehmut. Sie weckt zur gleichen Zeit aber auch große Dankbarkeit für die vielen Jahre, die ich an der Seite von Papst Benedikt leben und wirken durfte. Sie waren für mich ein unverdientes Geschenk. Dennoch: Wenn ich jetzt an das Jahresende denke, an Silvester, an den Todestag, überwiegen Wehmut und Trauer.
Gibt es Momente in dieser Zeit des Abschiednehmens, die sich besonders in Ihre Erinnerung eingegraben haben?
Die Tage vor dem Sterben haben sich in besonderer Weise in mein Herz und in mein Gedächtnis eingegraben. Vor allem die heiligen Messen, die wir an seinem Sterbebett in kleiner Gemeinschaft gefeiert haben. Die gesammelt-dichte Atmosphäre, die Präsenz des Papstes, der immer schwächer wurde, all das hat sich tief eingegraben in mein Inneres. Dieses Bild, diese Erfahrung begleitet mich, wohin ich auch gehe.
Seit dem vergangenen Jahr ist das Weihnachtsfest für mich untrennbar verknüpft mit dem Tod Benedikts.
picture alliance / dpa | Javier Lizon
Künftige Generationen sollen sich beim Gedanken an Benedikt XVI. vor allem an dessen Christusbekenntnis erinneren. Das hätte sich der verstorbene Papst gewünscht, ist Erzbischof Gänswein überzeugt.
Benedikt XVI. ist am Karsamstag geboren und in der Weihnachtsoktav gestorben. Die Bilder seines aufgebahrten Leichnams neben dem Christbaum gingen um die Welt. Blicken Sie angesichts der Ereignisse des Vorjahres heuer anders auf das Weihnachtsfest?
Seit dem vergangenen Jahr ist das Weihnachtsfest für mich untrennbar verknüpft mit dem Tod Benedikts Das hat starken Einfluss auf meine Empfindungen. Am Karsamstag geboren, am Oktavtag von Weihnachten gestorben: Darin ist eine Fügung zu erkennen, die im Rückblick ein besonderes Licht auf sein ganzes Leben wirft. Seine wichtigsten Lebensdaten fallen in eins mit den wichtigsten Glaubensdaten: Ostern und Weihnachten. Die Geburt, das Leiden, der Tod und die Auferstehung des Herren spiegeln sich in den Lebensdaten Joseph Ratzingers. In dieser großen „Oktav des Glaubens“ hat Papst Benedikt XVI. sein ganzes Leben verbracht.
Im Begriff des „Trauerjahres“ kommt zum Ausdruck, dass Trauer Zeit braucht. Welche Phasen der Trauer haben Sie erlebt? Wie sind Sie geistlich damit umgegangen? Hat Sie das persönlich bzw. Ihren Glauben, Ihr geistliches Leben verändert?
Mein geistliches Leben hat die schmerzvollen Tage der Trauer aufgefangen und ihnen Halt und Bestand gegeben. Ich habe getrauert wie Menschen, die um einen lieben Verstorbenen trauern, aber stärker war das Wissen im Glauben, dass nicht der Tod, sondern Gott das letzte Wort hat. Menschlich habe ich darunter gelitten, und tue es noch, dass Papst Benedikt physisch nicht mehr da ist. Im Glauben jedoch habe ich Trost, Zuversicht und innere Stärke erfahren. Das hat mein geistliches Leben vertieft.
Vatican News
Bei den Beerdigungsfeierlichkeiten für Benedikt XVI. stand Rom noch im Zeichen des Weihnachtsfestes. An einem Karsamstag geboren, in der Weihnachtsoktav gestorben: "Seine wichtigsten Lebensdaten fallen in eins mit den wichtigsten Glaubensdaten: Ostern und Weihnachten. Die Geburt, das Leiden, der Tod und die Auferstehung des Herren spiegeln sich in den Lebensdaten Joseph Ratzingers. In dieser großen „Oktav des Glaubens“ hat Papst Benedikt XVI. sein ganzes Leben verbracht“, hebt Erzbischof Gänswein hervor.
Sprechen Sie im Gebet mit Papst Benedikt XVI.? Sehen Sie in ihm einen Fürsprecher in bestimmten Anliegen?
Ich bete jeden Tag zu ihm. Er ist einer meiner großen Fürsprecher geworden, nicht zuletzt in den persönlichen Anliegen.
Benedikt XVI. ist sehr bewusst auf seinen Tod zugegangen. Mehrfach hat er in seinen letzten Jahren davon geschrieben und darüber gesprochen, dass er sich auf der letzten Etappe seiner irdischen Pilgerreise befinde. Hat er sich in einer besonderen Weise auf sein Sterben vorbereitet?
Das hat er getan, seit er auf das Petrusamt verzichtet hat. Dabei ging es weniger um besondere Aktivitäten, mit denen er sich auf das Sterben vorbereitet hätte. Vielmehr ist Benedikt „gezielter“ auf diesen Tag zugegangen, hat sich bewusster in den Prozess des „Absterbens“ hineinnehmen lassen. Er hat Ja gesagt zu den abnehmenden Kräften und hat sich in die gute Hand Gottes hineingegeben, von der er wusste, dass sie ihn trägt und hält. Seine Vorbereitung auf den Tod bestand vor allem darin, dass er das Tageswerk bewusster getan und die ihm noch bleibende Lebenszeit intensiver der Führung Gottes anvertraut hat.
Ob jemand leichter stirbt oder nicht, hängt nicht vom Amt ab.
Bei Benedikt XVI. konnte man aufgrund seiner Äußerungen den Eindruck haben, er freue sich auf die Begegnung mit dem Herrn am Ende seiner Tage. Stirbt ein Papst leichter als ein einfacher Gläubiger?
Dass er sich auf die Begegnung mit dem Herrn vorbereitet und sich darauf gefreut hat, davon bin ich überzeugt. Ob jemand leichter stirbt oder nicht, hängt nicht vom Amt ab. Der Volksmund sagt, dass jemand so stirbt, wie er gelebt hat. Benedikt hat in Gott, für Gott und für Christus gelebt. In dieser inneren Haltung ist er auch gestorben. Auf diese Weise konnte er sein Leben vielleicht doch leichter in die Hand Christi zurückgeben.
Vatican News
Nach seinem Tod wurde der emeritierte Papst zunächst in der Hauskapelle des Klosters „Mater Ecclesiae“ aufgebahrt. Dort hatte Benedikt XVI. nach seinem Rücktritt mit einer kleinen Hausgemeinschaft gelebt.
Hoch betagt schrieb Benedikt XVI. im Februar 2022 in einem Brief sein nahes Lebensende vor Augen: „Auch wenn ich beim Rückblick auf mein langes Leben viel Grund zum Erschrecken und zur Angst habe, so bin ich doch frohen Mutes, weil ich fest darauf vertraue, daß der Herr nicht nur der gerechte Richter ist, sondern zugleich der Freund und Bruder, der mein Ungenügen schon selbst durchlitten hat und so als Richter zugleich auch mein Anwalt (Paraklet) ist. Im Blick auf die Stunde des Gerichts wird mir so die Gnade des Christseins deutlich. Es schenkt mir die Bekanntschaft, ja, die Freundschaft mit dem Richter meines Lebens und lässt mich so zuversichtlich durch das dunkle Tor des Todes hindurchgehen.“ Ein solch tiefes Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes angesichts der Stunde des Gerichts: Ist das ein Geschenk des Glaubens? Lässt sich das lernen? Muss man sich das erarbeiten?
Tiefes Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes angesichts des Todes halte ich für ein großes Geschenk des Glaubens. Sich bewusst einlassen auf die Begegnung mit dem Herrn im Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes in der Stunde des Todes: das lässt sich einüben. Einüben bedeutet, immer mehr und intensiver auf das Wort des Herrn hören und seine Gegenwart in sich eindringen lassen. Ihm mehr Gewicht geben, tiefer glauben, das schenkt größere Hoffnung. Die Einübung in das Vertrauen auf den barmherzigen Richter schenkt Trost und inneren Frieden.
Es heißt, die letzten Worte Benedikts XVI. seien „Herr, ich liebe Dich!“ gewesen. Verdichtet sich in diesem einen schlichten Satz das Lebenswerk dieses Papstes?
Ich bin zutiefst überzeugt, dass die zitierten Worte das theologische und persönliche Leitmotiv seines ganzen Lebens waren und dass sie alle Etappen seines Wirkens umfassen. Sie haben in seinem Pontifikat ihren Höhepunkt erreicht.
In Papst Benedikt XVI. hatte ich einen ebenso milden wie weisen ,Chef‘.
Sie haben Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. über viele Jahrzehnte aus nächster Nähe begleitet. In der Glaubenskongregation, während seines Petrusdienstes und in seiner Zeit als Papa emerito? Worin bestand in all den Jahren die größte Herausforderung für Sie?
Die größte Herausforderung bestand in all den genannten Lebensstationen darin, den mir übertragenen Aufgaben gerecht zu werden und sie so zu erledigen, dass ich dem, der mir diese Aufgaben anvertraut hat, eine wirkliche Stütze und Hilfe sein konnte. Das war in der Tat nicht immer einfach, teilweise anstrengend, aber ich habe es immer gerne und mit ganzem Herzen gemacht. In Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. hatte ich einen ebenso milden wie weisen „Chef“. Er hat mir gegenüber viel Verständnis, große Feinfühligkeit und menschliche Sympathie gezeigt. Das hat meinen Dienst beflügelt.
Wofür sind Sie besonders dankbar?
Ich bin dankbar für die vielen Jahre, die ich an seiner Seite wirken durfte. Sie haben mein Leben bereichert und den Glauben vertieft. Es gab viele Erfahrungen, die mich haben reifen lassen. Besonders dankbar bin ich für die Erfahrung, auch bei großen Schwierigkeiten den Bettel nicht hinzuschmeißen, sondern in Treue, froher Zuversicht und festem Gottvertrauen auszuharren und durchzuhalten. Am Ende hat immer die Freude überwogen.
Mögen die Auseinandersetzungen um theologische und kirchliche Fragen noch so vehement gewesen sein, am Ende zählt die Liebe zu Christus, die Treue in seiner Nachfolge.
Die Psychologie kennt den „Sterbebett-Test“: Auf dem Sterbebett werde einem schlagartig klar, worauf es im Leben wirklich ankommt, was wesentlich ist und was nicht. Überträgt man das auf die Debatten und Auseinandersetzungen um Fragen der Theologie und des Glaubens: Was zählt am Ende wirklich? Was trägt - auch an der Schwelle des Todes? Was ist wesentlich?
Mir kommt da eine Stelle aus dem zweiten Timotheus Brief in den Sinn, wo der Apostel Paulus sagt, dass er den Lauf vollendet, den guten Kampf gekämpft und die Treue gehalten habe. Mögen die Auseinandersetzungen um theologische und kirchliche Fragen noch so vehement gewesen sein, am Ende zählt die Liebe zu Christus, die Treue in seiner Nachfolge. Wesentlich ist an der Schwelle des Todes, dass der Glaube nicht ins Wanken gerät, sondern allem standhält. Dass das Vertrauen in den Erlöser mich aufrechthält und ich das Ziel des Ewigen Lebens nicht aus den Augen verliere.
Wie stellen Sie sich den Himmel vor?
Ein kleines Kind hat bei einer großen öffentlichen Veranstaltung Papst Benedikt einmal genau diese Frage gestellt. Darauf hat er geantwortet, er stelle sich den Himmel vor wie das Daheimsein in der Familie, mit seinen Eltern, mit seinen Geschwistern und allen, die sich gernhaben. Er meinte damit, in großer Harmonie miteinander zu leben. Und das nicht nur für ein paar Augenblicke, sondern ein für alle Mal. So stelle auch ich mir den Himmel vor: Ein Zusammensein bei Gott in völliger Harmonie, die kein Ende kennt.
Wie begehen Sie den Todestag Benedikts XVI.?
Am Silvestertag ist in der Früh im Petersdom eine Gedenkmesse zum Jahrestag, der ich vorstehen werde. Anschließend wird es eine Statio am Grab von Papst Benedikt XVI. geben. Den Tag werde ich mit Freunden im Gedenken an den verstorbenen Papst verbringen. Dabei werden sicher viele Erinnerungen aufleben, die in den vergangenen Jahren mein Leben bewegt haben.
Was meinen Sie: Was hätte sich Benedikt XVI. gewünscht, woran sollen sich spätere Generationen mit Blick auf sein Lebenswerk und seine Person erinnern?
An seinen letzten Satz, den er auf dieser Welt gesprochen hat: „Herr, ich liebe dich.“ Darin ist alles enthalten, was er als Theologe, Priester, Bischof und Papst geschrieben, verkündet, bezeugt und geglaubt hat. Dieses Bekenntnis ist sein Testament.
Jahrgedächtnis für Papst Benedikt XVI. mit Erzbischof Dr. Georg Gänswein im Petersdom
Zum ersten Todestag Benedikts XVI.
Erinnerungen an Benedikt XVI.: Leben, Lehre, Vermächtnis: Aus Anlass des ersten Jahrestages des Todes von Papst Benedikt XVI. überträgt EWTN Vatican in Zusammenarbeit mit der Stiftung Christiana Virtus und der vatikanischen Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.-Stiftung eine Konferenz über Leben, Lehre und Vermächtnis des verstorbenen Papstes. Am 30. und 31. Dezember 2023 kommen Wissenschaftler, Experten und Freunde von Joseph Ratzinger zu einer Tagung im Gebäude am Campo Santo Teutonico neben dem Petersdom zusammen, um über die Bedeutung von Papst Benedikt XVI. für Kirche und Gesellschaft zu sprechen. Die Konferenzsprache ist Englisch.
Weitere Informationen und zur Übertragung finden Sie hier
BUCHHINWEIS
Unter dem Titel „Signore Ti amo“ – „Herr, ich liebe Dich“ (Joh 21, 17). Zum Gedenken an Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. sind Nachrufe auf den am Silvestertag 2022 heimgegangenen emeritierten Papst Benedikt XVI. vereint. Dieses zum Jahresgedächtnis erscheinende Buch, das vom „Institut Papst Benedikt XVI.“ organisiert und von Christian Schaller herausgegeben wird, will die Erinnerung in persönlichen Zeugnissen und mit inhaltlichen Auseinandersetzungen wachhalten und zugleich auf die Wirkungskraft seines geistigen und geistlichen Wirkens in seinem Leben im Dienst an den Menschen und der Kirche aufmerksam machen. Die Autoren aus Kirche, Politik und Wissenschaft geben jeweils einen neuen Zugang zur Person von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. frei. Zu den Autoren zählen u. a. Papst Franziskus, die Kardinäle Marx, Müller, die Bischöfe Voderholzer, Bätzing, Oster, Ministerpräsident Söder und Stoiber, aber auch Wissenschaftler und Publizisten aus der ganzen Welt.