An dieser Stelle finden Sie ausgewählte Beiträge von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. zu Festen des Kirchenjahres. Zum Start der Internetseite haben wir eine Pfingstpredigt Ratzingers veröffentlicht. Die weiteren Beiträge orientieren sich am liturgischen Kalender der Kirche.
Als geistlichen Impuls zur Fastenzeit dokumentieren wir die Predigt, die Benedikt XVI. bei der Aschermittwochsliturgie 2013 gehalten hat, im vollen Wortlaut.
Verehrte Mitbrüder!
Liebe Brüder und Schwestern!
Heute, am Aschermittwoch, beginnen wir einen neuen Weg der Fastenzeit – einen Weg, der sich über vierzig Tage hinzieht und uns zur Osterfreude des Herrn, zum Sieg des Lebens über den Tod führt. Nach der uralten römischen Tradition der Stationskirchen in der Fastenzeit haben wir uns heute zur Feier der Eucharistie versammelt. Diese Tradition sieht vor, dass die erste statio in der Basilika Santa Sabina auf dem Aventinhügel stattfindet. Die Umstände ließen es ratsam erscheinen, sich im Petersdom im Vatikan zu versammeln.
Heute Abend sind wir in großer Zahl hier am Grab des Apostels Petrus, auch um seine Fürsprache für den Weg der Kirche in diesem besonderen Augenblick zu erbitten und unseren Glauben an den obersten Hirten, Christus, den Herrn, zu erneuern. Für mich ist das eine günstige Gelegenheit, allen – speziell den Gläubigen der Diözese Rom – zu danken, während ich mich anschicke, meinen Petrusdienst zu beenden, und um ein besonderes Gebetsgedenken zu bitten.
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Benedikt XVI. beim Einzug in den Petersdom. Das Gehen fiel ihm zu diesem Zeitpunkt bereits schwer.
Die Umkehr zum Herrn ist möglich als ,Gnade’, denn sie ist Werk Gottes und Frucht unseres Glaubens an seine Barmherzigkeit.
Die vorgetragenen Lesungen geben uns Anregungen, die wir in dieser Fastenzeit mit Gottes Gnade in Haltungen und konkretes Verhalten umsetzen sollen. Die Kirche stellt uns wieder neu vor allem die nachdrückliche Ermahnung vor Augen, die der Prophet Joël an das Volk Israel richtet: » Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, Weinen und Klagen « (2,12). Die Worte » von ganzem Herzen « sind dabei zu unterstreichen; sie bedeuten: vom Zentrum unserer Gedanken und Gefühle her, von den Wurzeln unserer Entschlüsse, Entscheidungen und Taten aus, in einem Akt völliger und radikaler Freiheit. Aber ist eine solche Umkehr zu Gott möglich? Ja, denn es gibt eine Kraft, die nicht in unserem Herzen wohnt, sondern dem Herzen Gottes selbst entströmt. Es ist die Kraft seiner Barmherzigkeit.
Der Prophet fährt fort: » Kehrt um zum Herrn, eurem Gott! Denn er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte und es reut ihn, daß er das Unheil verhängt hat « (V. 13). Die Umkehr zum Herrn ist möglich als „Gnade“, denn sie ist Werk Gottes und Frucht unseres Glaubens an seine Barmherzigkeit. Dieses Umkehren zu Gott wird in unserem Leben nur dann konkrete Wirklichkeit, wenn die Gnade des Herrn in unser Innerstes eindringt, es aufrüttelt und uns die Kraft gibt, unser » Herz zu zerreißen «.
Wieder ist es der Prophet, der von Gott her diese Worte erschallen läßt: » Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider « (V. 13). In der Tat sind auch heute viele bereit, angesichts von – natürlich von anderen begangenen – Skandalen und Ungerechtigkeiten „ihre Kleider zu zerreißen“, aber wenige scheinen bereit, auf ihr „Herz“, ihr Gewissen, ihre Absichten einzuwirken und zuzulassen, daß der Herr sie verwandle, erneuere und bekehre.
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Historisches Datum: Am 13. Februar 2013 stand Papst Benedikt XVI. letztmals einer öffentlichen Eucharistiefeier vor. Der Ruf nach innerer Erneuerung, nach Umkehr und Hinwendung zum Herrn stand im Mittelpunkt seiner Predigt.
Der Glaube ist zwangsläufig kirchlich. Und es ist wichtig, sich das in dieser Fastenzeit ins Gedächtnis zu rufen und danach zu leben.
Dieses »Kehrt um zu mir von ganzem Herzen« ist dann ein Aufruf, der nicht nur den einzelnen betrifft, sondern die Gemeinschaft. In der ersten Lesung haben wir des weiteren gehört: » Auf dem Zion stoßt in das Horn, ordnet ein heiliges Fasten an, ruft einen Gottesdienst aus! Versammelt das Volk, heiligt die Gemeinde! Versammelt die Alten, holt die Kinder zusammen, auch die Säuglinge! Der Bräutigam verlasse seine Kammer und die Braut ihr Gemach « (V. 15-16). Der gemeinschaftliche Aspekt ist ein wesentliches Element im Glauben und im christlichen Leben.
Christus ist gekommen, » um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln « (Joh 11,52). Das „Wir“ der Kirche ist die Gemeinschaft, in der Jesus uns vereint (vgl. Joh 12,32): Der Glaube ist zwangsläufig kirchlich. Und es ist wichtig, sich das in dieser Fastenzeit ins Gedächtnis zu rufen und danach zu leben: Jeder sei sich bewußt, daß er den Weg der Buße nicht allein antritt, sondern gemeinsam mit vielen Brüdern und Schwestern, in der Kirche.
Schließlich kommt der Prophet auf das Gebet der Priester zu sprechen, die sich mit Tränen in den Augen an Gott wenden und sagen: » Überlaß dein Erbe nicht der Schande, damit die Völker nicht über uns spotten. Warum soll man bei den Völkern sagen: „Wo ist denn ihr Gott?“ « (V. 17). Dieses Gebet läßt uns darüber nachdenken, welche Bedeutung das christliche Glaubens- und Lebenszeugnis eines jeden von uns und unserer Gemeinschaften für das Gesicht der Kirche hat und wie dieses bisweilen verunstaltet wird. Ich denke besonders an die Vergehen gegen die Einheit der Kirche, an die Spaltungen im Leib der Kirche. Die Fastenzeit in einer intensiveren und sichtbareren Gemeinschaft mit der Kirche zu leben, indem man Individualismen und Rivalitäten überwindet, ist ein demütiges und kostbares Zeichen für diejenigen, die dem Glauben fern sind oder ihm gegenüber gleichgültig sind.
Die Versöhnung, die uns angeboten wird, wurde um einen sehr hohen Preis erkauft.
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In seiner letzten Predigt im Petersdom rief Benedikt XVI. jeden einzelnen Christen und die gesamte Kirche zu Umkehr und Bekehrung auf.
» Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung « (2 Kor 6,2). Die Worte des Apostels Paulus an die Christen von Korinth erklingen auch für uns mit einer Dringlichkeit, die kein Fernbleiben oder keine Untätigkeit duldet. Der mehrmals wiederholte Ausdruck „jetzt“ besagt, daß man sich diesen Moment nicht entgehen lassen darf, er wird uns wie eine einmalige, unwiederholbare Gelegenheit angeboten. Und der Blick des Apostels konzentriert sich auf das Teilen, das Christus zum Merkmal seines Lebens machen wollte, indem er alles Menschliche annahm bis dahin, selbst die Sünde der Menschen auf sich zu laden.
Der Satz des heiligen Paulus ist sehr stark: Gott hat ihn » für uns zur Sünde gemacht «. Jesus, der Unschuldige, der Heilige, » der keine Sünde kannte « (2 Kor 5,21), lädt sich die Last der Sünde auf und teilt mit der Menschheit ihre Folge, den Tod – den Tod am Kreuz. Die Versöhnung, die uns angeboten wird, wurde um einen sehr hohen Preis erkauft: das auf Golgotha aufgerichtete Kreuz, an das der menschgewordene Sohn Gottes geheftet wurde. In diesem Eintauchen Gottes in das menschliche Leiden und in den Abgrund des Bösen liegt die Wurzel unserer Rechtfertigung.
Unser » Umkehren zu Gott von ganzem Herzen « auf unserem Weg in der Fastenzeit geht über das Kreuz, über die Nachfolge Christi auf dem Weg, die zum Kalvarienberg führt, zur vollkommenen Selbsthingabe. Es ist ein Weg, auf dem wir täglich lernen müssen, immer mehr aus unserem Egoismus und aus unserer Verschlossenheit herauszukommen, um Platz zu machen für Gott, der das Herz öffnet und verwandelt. Und der heilige Paulus erinnert daran, wie die Botschaft des Kreuzes für uns erklingt durch die Verkündigung des Wortes Gottes, dessen Botschafter der Apostel selber ist; eine Ermahnung an uns, damit dieser Weg der Fastenzeit gekennzeichnet sei von größerer Aufmerksamkeit und Beständigkeit im Hören auf Gottes Wort – das Licht, das unsere Schritte erhellt.
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Am 11. Februar 2013 hatte Benedikt XVI. seinen Rücktritt angekündigt. Am Aschermittwoch zelebrierte er zum letzten Mal in der Öffentlichkeit. Am 28. Februar zog er sich nach Castel Gandolfo zurück. An diesem Tag endete seine Amtszeit um 20.00 Uhr.
Jesus unterstreicht, daß es die Qualität und die Wahrheit der Beziehung zu Gott ist, welche die Echtheit jeder religiösen Handlung ausmacht.
In dem Abschnitt aus dem Matthäusevangelium, der zur sogenannten Bergpredigt gehört, bezieht Jesus sich auf die drei grundlegenden Übungen, die das Gesetz des Mose vorsah: Almosengeben, Gebet und Fasten; es sind auch die traditionellen Weisungen für die Fastenzeit, um der Einladung, » von ganzem Herzen zu Gott umzukehren «, zu entsprechen. Doch Jesus unterstreicht, daß es die Qualität und die Wahrheit der Beziehung zu Gott ist, welche die Echtheit jeder religiösen Handlung ausmacht. Deshalb prangert er die religiöse Scheinheiligkeit an, das Verhalten, sich in Szene zu setzen, sowie die Haltungen, die Beifall und Zustimmung suchen.
Der wahre Jünger dient nicht sich selbst oder der „Öffentlichkeit“, sondern dem Herrn, in Einfachheit und Großherzigkeit: » Und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten « (Mt 6,4.6.18). Unser Zeugnis wird immer um so wirksamer sein, je weniger wir unsere eigene Ehre suchen und uns bewußt sind, daß der Lohn des Gerechten Gott selber ist, das Vereint-Sein mit ihm – hier unten auf dem Weg des Glaubens und am Ende des Lebens im Frieden und im Licht der Begegnung von Angesicht zu Angesicht mit ihm für immer (vgl. 1 Kor 13,12).
Liebe Brüder und Schwestern, beginnen wir diesen Weg durch die Fastenzeit voll Zuversicht und Freude. Möge die Einladung zur Bekehrung, die Aufforderung, » von ganzem Herzen zu Gott umzukehren «, laut in uns erklingen, so daß wir seine Gnade annehmen, die uns zu neuen Menschen macht mit jener überraschenden Neuheit, die Teilhabe am Leben Jesu selbst ist. Niemand soll also taub sein für diesen Aufruf, der auch aus diesem schlichten, so einfachen und zugleich so eindrucksvollen Ritus der Auflegung der Asche zu uns spricht, den wir gleich vollziehen werden. Es begleite uns in dieser Zeit die Jungfrau Maria, Mutter der Kirche und Vorbild jedes wahren Jüngers des Herrn. Amen!
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