Einordnung
Der Besuch Benedikts XVI. in seiner bayerischen Heimat vom 9. bis zum 14. September 2006 entwickelte sich zu einem großen Fest des Glaubens und der Begegnung. Ob in München, Altötting oder Regensburg - der Papst aus Bayern wurde begeistert empfangen. Benedikt XVI. war anzumerken, dass er hier wirklich daheim ist. In Regensburg gehörte auch eine ökumenische Vesper zum Programm der Papstreise. Benedikt XVI. nutzte die Gelegenheit für grundsätzliche ökumenische Impulse.
Auf welche Fragen antwortet dieser Text?
Warum ist Ökumene unverzichtbar? Was kann man bei allen Unterschieden heute gemeinsam tun? Worauf kommt es dabei an? Und warum ist das Bekenntnis zum christlichen Gottesbild gerade in multireligiösen Begegnungen von entscheidender Bedeutung?
Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Wir sind versammelt, Orthodoxe, Katholiken und evangelische Christen – und jüdische Freunde sind mit uns –, wir sind versammelt, um gemeinsam das Abendlob Gottes zu singen, dessen Herzstück die Psalmen sind, in denen sich Alter und Neuer Bund vereinigen, unser Gebet sich mit dem glaubenden und hoffenden Israel verbindet. Dies ist eine Stunde der Dankbarkeit dafür, dass wir so miteinander die Psalmen beten dürfen und aus der Zuwendung zum Herrn hin zugleich eins werden miteinander.
Ökumene braucht persönliche Begegnung
Ganz herzlich möchte ich zunächst die Teilnehmer an dieser Vesper begrüßen, die aus der orthodoxen Kirche kommen. Ich betrachte es immer als ein großes Geschenk der Vorsehung, dass ich als Professor in Bonn in zwei jungen Archimandriten, den späteren Metropoliten Stylianos Harkianakis und Damaskinos Papandreou, die orthodoxe Kirche sozusagen persönlich, in Personen kennen- und so liebenlernen durfte. In Regensburg kamen dank der Initiativen von Bischof Graber neue Begegnungen hinzu: bei den Symposien auf dem Spindlhof und durch die Stipendiaten, die hier studiert haben. Ich freue mich, manche altvertraute Gesichter wiedersehen zu dürfen und alte Freundschaften neu belebt zu finden.
Ich wenigen Tagen wird in Belgrad der theologische Dialog wieder aufgenommen werden über das Grundthema der Koinonia, der Gemeinschaft – in den zwei Dimensionen, die uns der erste Johannes-Brief gleich zu Beginn im ersten Kapitel benennt: Unsere Koinonia ist zunächst Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus im Heiligen Geist; sie ist die vom Herrn durch seine Menschwerdung und die Geistsendung ermöglichte Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott selbst.
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„Damit die Welt glaube, müssen wir eins sein: Der Ernst dieses Auftrags muss unseren Dialog beseelen“, hob Benedikt XVI. in seiner Predigt bei der ökumenischen Vesper hervor.
Gemeinschaft mit Gott schafft Gemeinschaft untereinander
Diese Gottesgemeinschaft schafft dann auch die Koinonia untereinander, als Teilhabe am Glauben der Apostel und so als Gemeinschaft im Glauben, die sich in der Eucharistie verleiblicht und über alle Grenzen hin die eine Kirche baut (vgl. 1 Joh 1, 3). Ich hoffe und bete, dass diese Gespräche fruchtbar sind und dass die uns verbindende Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, die Gemeinschaft in dem von den Aposteln überlieferten Glauben sich vertieft und zu jener vollen Einheit reift, an der die Welt erkennen kann, dass Jesus Christus wahrhaft der Gesandte Gottes, Gottes Sohn ist, der Heiland der Welt (vgl. Joh 17, 21). „Damit die Welt glaube“, müssen wir eins sein: Der Ernst dieses Auftrags muss unseren Dialog beseelen.
Ganz herzlich begrüße ich auch die Freunde aus den verschiedenen Traditionen der Reformation. Auch da werden in mir viele Erinnerungen wach – Erinnerungen an Freunde aus dem Jäger-Stählin-Kreis, die heimgegangen sind; mit diesen Erinnerungen verbindet sich die Dankbarkeit für die Begegnungen dieser Stunde. Ich denke natürlich ganz besonders an das Ringen um den Rechtfertigungskonsens mit all seinen Phasen bis hin zu der denkwürdigen Begegnung mit dem heimgegangenen Bischof Hanselmann hier in Regensburg, die wesentlich dazu beitragen durfte, zur gemeinsamen Antwort zu finden.
Die Rechtfertigungslehre geht alle an, nicht nur die Theologen
Ich freue mich, dass inzwischen auch der „Weltrat der methodistischen Kirchen“ sich diesem Konsens angeschlossen hat. Der Rechtfertigungskonsens bleibt eine große und – wie ich meine – noch nicht recht eingelöste Verpflichtung für uns: Rechtfertigung ist ein wesentliches Thema in der Theologie, aber im Leben der Gläubigen heute kaum anwesend, wie mir scheint. Auch wenn durch die dramatischen Ereignisse der Gegenwart das Thema der Vergebung untereinander wieder seine volle Dringlichkeit zeigt – dass wir zuallererst die Vergebung von Gott her, die Gerechtmachung durch ihn brauchen, das steht kaum im Bewusstsein.
Dass wir Gott gegenüber ernstlich in Schulden sind, dass Sünde eine Realität ist, die nur von Gott her überwunden werden kann: das ist dem modernen Bewusstsein weithin fremd geworden – und wir alle sind ja irgendwie „modern“. Im letzten steht eine Abschwächung unseres Gottesverhältnisses hinter diesem Verblassen des Themas der Rechtfertigung und der Vergebung der Sünden. So wird es wohl unsere allererste Aufgabe sein, den lebendigen Gott wieder in unserem Leben und in unserer Zeit und Gesellschaft neu zu entdecken.
Hören wir nun mit dieser Absicht dem zu, was der heilige Johannes uns eben in der Lesung sagen wollte. Ich möchte drei Aussagen dieses vielschichtigen und reichen Textes besonders unterstreichen. Das Zentralthema des ganzen Briefes erscheint im Vers 15: „Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und er bleibt in Gott.“ Johannes stellt hier noch einmal, wie zuvor schon in den Versen 2 und 3 des vierten Kapitels, das Bekenntnis, die Confessio heraus, die uns überhaupt als Christen unterscheidet: den Glauben daran, dass Jesus der im Fleisch gekommene Sohn Gottes ist. „Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“, heißt es am Ende des Prologs zum vierten Evangelium (Joh 1, 18).
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Benedikt XVI rief dazu auf, den Glauben als Kraft der Liebe zu bezeugen.
Es ist wichtig, dass wir unser Gottesbild ganz und nicht nur fragmentiert zur Sprache bringen. Damit wir es können, muss unsere eigene Gemeinschaft mit Christus, unsere Liebe zu ihm wachsen und tiefer werden.
Wer Gott ist, wissen wir durch Jesus Christus: den einzigen, der Gott ist. In die Berührung mit Gott kommen wir durch ihn. In der Zeit der multireligiösen Begegnungen sind wir leicht versucht, dieses zentrale Bekenntnis etwas abzuschwächen oder gar zu verstecken. Aber damit dienen wir der Begegnung nicht und nicht dem Dialog. Damit machen wir Gott nur unzugänglicher, für die anderen und für uns selbst. Es ist wichtig, dass wir unser Gottesbild ganz und nicht nur fragmentiert zur Sprache bringen. Damit wir es können, muss unsere eigene Gemeinschaft mit Christus, unsere Liebe zu ihm wachsen und tiefer werden. In diesem gemeinsamen Bekenntnis und in dieser gemeinsamen Aufgabe gibt es keine Trennung zwischen uns. Dass dieser gemeinsame Grund immer stärker werde, darum wollen wir beten.
Damit sind wir schon mitten in dem zweiten Punkt, den ich ansprechen wollte. Er kommt im Vers 14 zur Sprache, wo es heißt: „Wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als den Retter der Welt.“ Das Zentralwort dieses Satzes heißt: μαρτυρουμεν – wir bezeugen, wir sind Zeugen. Das Bekenntnis muss Zeugnis werden. In dem zugrundeliegenden Wort μάρτυς klingt auf, dass der Zeuge Jesu Christi mit seiner ganzen Existenz, mit Leben und Sterben für sein Zeugnis eintritt. Der Verfasser des Briefes sagt von sich: „Wir haben gesehen.“ Weil er gesehen hat, kann er Zeuge sein. Er setzt aber voraus, dass auch wir – die nachfolgenden Generationen – sehend zu werden vermögen und dass auch wir als Sehende Zeugnis ablegen können.
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Benedikt XVI. begrüßt Vertreter des jüdischen Lebens, die am ökumenischen Abendlob teilnahmen.
In einer Welt voller Verwirrung müssen wir wieder Zeugnis geben von den Maßstäben, die Leben zu Leben machen.
Bitten wir den Herrn, dass er uns sehend macht. Helfen wir uns gegenseitig zum Sehen, damit wir auch die Menschen unserer Zeit sehend machen können, so dass sie durch die ganze selbstgemachte Welt hindurch Gott wieder erkennen können; durch alle historischen Barrieren hindurch Jesus wieder wahrnehmen dürfen, den von Gott gesandten Sohn, in dem wir den Vater sehen.
Im Vers 9 heißt es, dass Gott den Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir leben. Können wir nicht heute sehen, dass erst durch die Begegnung mit Jesus Christus das Leben wirklich Leben wird? Zeuge für Jesus Christus sein bedeutet vor allem auch: Zeuge für eine Weise des Lebens sein. In einer Welt voller Verwirrung müssen wir wieder Zeugnis geben von den Maßstäben, die Leben zu Leben machen. Dieser großen gemeinsamen Aufgabe aller Glaubenden müssen wir uns mit großer Entschiedenheit stellen: Es ist die Verantwortung der Christen in dieser Stunde, jene Maßstäbe rechten Lebens sichtbar zu machen, die uns in Jesus Christus aufgegangen sind, der alle Worte der Schrift in seinem Weg vereinigt hat: „Auf ihn sollt ihr hören“ (Mk 9, 7).
Damit sind wir bei dem dritten Stichwort angekommen, das ich aus dieser Lesung hervorheben wollte: Agape – Liebe. Dies ist das Leitwort des ganzen Briefes und besonders des Abschnitts, den wir eben gehört haben. Agape, Liebe, wie Johannes sie uns lehrt, ist nichts Sentimentales und nichts Verstiegenes; sie ist ganz nüchtern und realistisch. Ein wenig darüber habe ich in meiner Enzyklika „Deus caritas est“ zu sagen versucht. Die Agape, die Liebe ist wirklich die Summe von Gesetz und Propheten. Alles ist in ihr „eingefaltet“, muss aber im Alltag immer neu entfaltet werden. Im Vers 16 unseres Textes findet sich das wundervolle Wort: „Wir haben der Liebe geglaubt.“ Ja, der Liebe kann der Mensch glauben. Bezeugen wir unseren Glauben so, dass er als Kraft der Liebe erscheint, „damit die Welt glaube“ (Joh 17, 21). Amen.
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